Mut zur Demut

Vielleicht ist es ja eine Premiere in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, auf jeden Fall aber eine seltene Sternstunde der Politik – und ein Lehrstück in Sachen Kommunikation und Glaubwürdigkeit: „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler“, sagte die Kanzlerin am Mittwoch auf ihrer eilends einberufenen Pressekonferenz, in der sie die „Osterruhe“ einkassierte, die sie kurz zuvor – nachts um 3 Uhr – noch durchgekämpft hatte. „Das bedaure ich zutiefst“, sagte Angela Merkel, „und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung.“

Hat es das schon einmal gegeben? Können Sie sich einen Gerhard Schröder vorstellen, der sich auf diese Weise entschuldigen würde? Oder hätten Sie dies Helmut Kohl zugetraut? Sie hätten wahrscheinlich alles dafür getan, sich irgendwie herauszuwinden und nur ja nicht ihr Gesicht zu verlieren.

So katastrophal das Bild auch sein mag, das einige Politiker aktuell bei der Bekämpfung der Pandemie abgeben – dieser Moment wird bleiben: Gerade in Deutschland bedarf es einigen Mutes, solch eine spektakuläre Kehrtwende zu wagen und die eigenen Fehler offen zu benennen statt sie zu kaschieren. Dies verdient großen Respekt. Und es macht Hoffnung, dass in diesem Land – neben aufmerksamkeitsheischenden Alphamännern, dumpfen „Querdenkern“ und oberschlauen Besserwissern – vielleicht doch noch bedächtige Stimmen Gehör finden. Es ist zumindest äußerst wohltuend, auch einmal Zweifel zu hören, Unsicherheit zu spüren, Mut zur Demut – angesichts einer Krise, die uns alle an unsere Grenzen bringt.

Dies ist kein Freifahrschein für Planlosigkeit und Inkompetenz: Wunderten wir uns im ersten Pandemie-Schock vor einem Jahr noch, wie geschlossen die übergroße Mehrheit an einem Strang zog und sich solidarisch zeigte – um 21 Uhr applaudierten wir den Pflegekräften und Ärzten –, so wurde die Liste der Defizite, die die Corona-Krise ans Tageslicht zerrte, seither immer länger: Dass wir in Sachen Digitalisierung – vor allem in den Schulen – bis heute Nachholbedarf haben, überraschte nicht wirklich. Wie lähmend föderalistische Strukturen sein können, war zuvor schon klar. Auch die Profilierungssucht einiger Politiker konnte nicht wirklich überraschen. Aber galt nicht wenigstens gute Organisation einmal als deutsche Tugend?

Und doch ist es zu kurz gesprungen, mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die jetzt die Kritik auf sich ziehen. Jeder einzelne von uns ist nicht nur Beobachter, sondern selbst Akteur. Die tägliche Zahl an Neuinfektionen – zuletzt mehr als 15.000 – kommt nicht aus dem Nirgendwo. WIR sind es, die keinen Abstand halten. WIR sind es, die es dem Virus leicht machen. WIR sind es, die andere gefährden. WIR sind es, die mit unserem eigenen Verhalten dazu beitragen, dass eine Rückkehr zu vermeintlicher Normalität immer weiter in die Ferne rückt.

„Ein Fehler muss auch als Fehler benannt werden. Und vor allem muss er korrigiert werden. Und wenn möglich, hat das noch rechtzeitig zu geschehen“, hat Angela Merkel ihr Abrücken von ihrer Position begründet. So peinlich das politische Hin und Her auch sein mag – wenn die bemerkenswerte Demonstration, wie man mit Fehlern umgehen kann, dazu beiträgt, dass wir künftig anders miteinander reden, war es ein guter Tag. 

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12 Kommentare zu „Mut zur Demut

  1. Sehr geehrter Herr Förster,

    ich stimme in diesem Artikel vollkommen mit Ihnen überein; Sie haben mir aus „aus der Seele“ geschrieben. Vielen Dank für Ihre ehrlichen Worte.

    MfG
    Torsten Fröhling

  2. Lieber Herr Förster,

    ja – genau so sehe ich das auch. WIR sind es, die nicht zu einer Verbesserung unserer Situation beitragen. Ja und – Angela Merkel verdient allergrößten Respekt. Der Mut zur Demut – eine Führungsqualität, die ich mir für Politik und Wirtschaft noch ein Stück mehr wünsche.

    Beste Grüße
    Christine Machacek

  3. Naja, da kann man unterschiedlicher Meinung sein!
    Ich würde doch bitten bei Neuinfektionen etwas zu differenzieren (Was ist der Unterschied zwischen Besiedelung und Infektion?). Es wird ein PCR-Test (nicht validiert) verwendet, es wird eine Berechnungsgrundlage Inzidenz verwendet, die KEINE mathematisch-logischen Betrachtung standhält.
    Was ist denn heute mit dem im letzten Jahr viel strapazierten R-Faktor?
    Was ist mit unseren Grundrechten? Was passiert mit unseren Kindern? Was passiert mit unseren alten Mitmenschen, die zum Teil seit 13 Monaten in Einzelhaft in den Altenheimen sind?
    Wenn das eine Sternstunde der deutschen Politik darstellt, dann möchte ich mal den Sonnenaufgang sehen.
    Wo ist die kritische Betrachtung von Zahlen? Wo ist der kritische Diskurs, der eine Demokratie ausmachen sollte? Wo ist die sogenannte Vielfältigkeit der Meinung und Standpunkte?
    Grundrechte hatten einen bestimmten Grund warum diese dort stehen oder standen!

    Ach, so nebenbei wie soll zukünftig dieser Apparat finanziert werden?
    Durch geschlossen Geschäfte, durch geschlossen Betriebe, durch geschlossene Kulturbetriebe?…
    Durch ein Grundeinkommen?
    Und eingeschüchterte, verängstigte Kindern sollen diese Gesellschaft in eine bunte, menschliche und vielfältige Zukunft tragen können?
    Sternstunde!

  4. Vielen Dank für diesen Artikel, den ich voll und ganz zustimmen kann.

    Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen, denn vielleicht ist dieser eingeräumte Fehler „von ganz oben“ ja auch ein Fingerzeig, dass man auch in Deutschland mal etwas falsch machen darf und es ok ist, wenn man offen den Fehler kommuniziert und eine andere, bessere Richtung einschlägt.

    Die nicht vorhandene Fehlerkultur war in Deutschland schon immer ein Problem, und leider habe ich den Eindruck das dies in den letzten Jahren immer schlimmer wurde. Man gibt sich lieber mit Mittelmaß zufrieden, anstatt mutig voran zu gehen und Neues zu wagen. Bloß keinen Fehler machen, bloß nicht angreifbar machen und deshalb lieber den gleichen Weg einschlagen wie alle anderen. Aber deshalb verliert Deutschland in vielen Bereichen langsam den Anschluss, denn Fehler zu machen ist vielleicht der wichtigste Faktor bei dem was wir brauchen – Innovationen.

    Ich selbst erlebe diese Angst vor etwas Neuem nahezu täglich, denn wir haben in den letzten Jahren eine disruptive Technologie entwickelt, die den sicheren Umgang mit unseren Daten durchgängig gewährleistet und uns endlich wieder die Kontrolle über unsere Daten zurückgibt. Wir haben viele Innovationspreise gewonnen und könnten helfen Deutschland im Bereich der Digitalisierung einen wichtigen Schub zu versetzen.

    Doch anstatt einfach mal etwas Neues auszuprobieren, wird meist lieber nach „Ausreden“ gesucht, warum man doch lieber bei dem „Alten“ bleibt, das ja alle anderen auch nutzen. Besonders schön ist dabei das „hört sich zu gut an, um wahr zu sein“ (gegen das auch diverse externe Expertengutachten nicht schützen…). Was ist so schlimm daran, etwas Neues zu wagen, einer Idee oder Eingebung zu folgen?

    Frau Merkel hatte vermutlich auch so eine Idee und hat es versucht. Auch wenn die Idee vielleicht nicht die Beste war und im Zeitraffer wiederrufen wurde, so könnten viele von dem Ablauf etwas lernen: Idee haben -> Ausprobieren -> Geht nicht -> Schnell reagieren -> Fehler eingestehen und kommunizieren -> Neues wagen!

    Das würde uns nicht nur in der Pandemie schneller nach vorne bringen!

    Viele Grüße, Kai Rehnelt

  5. Lieber Nikolaus,
    eine sehr schöne Zusammenfassung über Fehlerkultur auf höchster Ebene.

    Es ist sicherlich Einiges zu bemängeln an der Gesamtsituation, dennoch bleibt ja auch, daß das Licht vorerst am Ende des Tunnel durch die verschiedenen Impfstoffe immerhin sichtbar ist. Das ist die Leistung, die mir bei der gesamten Nörgelei immer etwas zu kurz kommt. Da wäre ebenfalls aus meiner Sicht etwas mehr Demut gefragt.

    Herzliche Grüße,
    Tim

  6. Ein „Servus“ lieber Nikolaus aus dem Süden der Republik,

    auch ich stimme dir zu, dass das Zugeben eines Fehlers und dessen Beseitigung der gute Weg ist, leider aber in Deutschland verpönt ist. Insofern war das vielleicht ein Fingerzeig, welcher doch in Zukunft aufgenommen werden kann. Ob es so kommen wird? Wir können es zumindest hoffen!

    Aber vielleicht ist es doch für einige, die in der ersten Reihe stehen ein Punkt, sein Verhalten und seine Argumente zu überdenken. Denn eines ist wohl unbestritten: so wie es aktuell hier läuft, so kann und darf es nicht weiter gehen.

    Herziliche Grüße nach Hamburg

    Sigi

  7. Werter Herr Weikert,

    mit Ihren Zeilen fange ich nichts an. Was wollen Sie uns sagen ? Die Größe zu einem Fehler zu stehen, die Verantwortung für 16 Ministerpräsidenten mit zu übernehmen, ist für sich genommen nahezu einmalig in der Politik. Dies relativieren zu wollen ist nicht angemessen.

    Man darf jetzt zunächst einmal Größe zeigen und unabhängig vom Standpunkt in Sachfragen dieses Ereignis wirken lassen.

    Deshalb gehe ich auf Ihre Ausführungen nicht weiter ein.

    Ich ziehe übrigens den Hut vor jedem Mitarbeiter, der zu einem Fehler aufrichtig steht und ich würde nie auf die Idee kommen, sein Tun zu relativieren.

    Freundliche Grüße aus dem Südwesten

  8. Das Kreuz zu haben und einen Fehler zuzugeben, finde ich vor allem in der Politik sehr beachtlich. Und ja, wir sind es, die sich teilweise nicht an Abstände etc. halten. Hier gebe ich Herrn Dr. Förster recht. Wir sind es aber auch, die sich Konzepte einfallen zu lassen, um die wirtschaftliche Existenz unserer Mitarbeitenden und uns zu sichern und Büros, Läden etc. sicher zu machen. Hier vermisse ich ganz eindeutig, dass diese praktischen Ansätze in den ganzen Maßnahmen mit berücksichtigt werden. Nach meinem Gefühl werden die „Praktiker“ gar nicht gefragt, was machbar ist und was nicht. Und wie Herr Weikert schreibt, vermisse ich auch eine differenzierte Betrachtung der Zahlen. Die, in Verbindung mit sinnvollen und praktikablen Lösungsansätzen, brauchen wir, um möglichst schnell aus dieser Pandemie wieder rauszukommen.

  9. Das Eingeständnis von Frau Merkel zu diesem Fehler ist bemerkenswert und hoffentlich geeignet, vielen Menschen klar zu machen, dass jeder Mensch Fehler macht. Es ist ein Zeichen von Größe, zu den eigenen Fehlern zu stehen, sie zuzugeben und zu korrigieren. Nichts ist schlimmer, als Fehler zu vertuschen!
    Mein Eindruck ist, dass es grundsätzlich Frauen leichter fällt als Männern, Fehler zuzugeben
    Dass ein Mann – Herr Förster – diesen Artikel geschrieben hat, lässt hoffen, dass endlich auch die Männer beginnen umzudenken und erkennen, dass sie nicht unfehlbar sind.

  10. also ich kann mich den Lobhudeleien NICHT anschließen. Diese Regierung und besonders die Kanzlerin (bekannt für ihr Aussitzen und nix tun – das Ergebnis sehen wir in Deutschland bei Bildung, Digitalisierung, internt – die Liste ist ewig). Begeht einen wirklich dämlichen Fehler der einem gestandenen Politiker nach 16 Jahren nicht passieren DARF. in jedem Unternehmen wäre die Person entlassen worden – nicht so hier. EINMAL gibt sie einen Fehler zu und schon überschüttet man sie mit Lob.. GEHTS NOCH? sind wir nun DANKBAR dass ein Politiker mal – zur Abwechslung – ehrlich ist? Ich sehe da keine Größe – sondern nur dass Eingeständnis, dass man selbst den so gehorsamen Deutschen doch nicht alles zumuten kann. KEIN Wort verliert sie darüber das massen von C*U Politikern (* = D und S) sich hier aufs schlimmste bereichern – da wird wieder ausgesessen.
    es ist eine SChande was hier passiert – die „führende“ NAtion der „Pacemaker“ europas dilletantiert in schlimmster Weise rum – und die Dame wird für ein „ja sorry Leute ne“ gelobt ?!?!??!

    1. bin dergleichen meinung
      für mich stellt sich immer die frage, wie kommt ein fehler zustande. dieser fehler ist auf eine folge von fehlern aufgebaut!
      (einfach wissenschaftliche grundlagen kontrovers diskutieren!)
      mit diesem lächerlichen eingeständnis ändert sich nichts, auch nicht an der ursache dieses „zugegeben“ fehlers.
      ein land der denker und dichter!
      wo?

  11. Eigentlich sollte es normal sein, Fehler einzugestehen und unaufgefordert zuzugeben. Wenn das aber schon als etwas Besonderes Beachtung findet, dann ist das irgendwie bedenklich und traurig. Zumindest gibt es noch solche Sternmomente der eigenen Moral und Verantwortung. Schließlich könnte ja alles noch blinder und egomaner sein und damit noch viel bedenklicher.

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