Was tut man, wenn man im Hochgebirge an einer Steilwand hängt – unter einem geht es hunderte Meter in die Tiefe –, der Blick leicht verunsichert zum Karabinerhaken wandert, der am Stahlseil eingehängt ist, die Augen für einen Moment in die Tiefe gezogen werden, sich dann wieder auf die graue Felswand konzentrieren, nur wenige Zentimeter vom Gesicht entfernt, und einem plötzlich der Gedanke durch den Kopf schießt: „Was mache ich hier eigentlich?“
Was ist, wenn genau in diesem Moment, in dem einem die eigenen Grenzen fast schmerzhaft bewusst werden, sich ein seltenes Gefühl einstellt: Hey, zum ersten Mal seit anderthalb Jahren finde ich, wenn auch nur für einen Moment, tatsächlich zur Ruhe. Langsam durchatmen. Still halten. Vielleicht wäre es ratsam, sich jetzt erst einmal nicht weiter zu bewegen. Und sich die nächsten Schritte und Handgriffe gut zu überlegen. Da schießt mir, just in diesem Augenblick, ein Datum durch den Kopf: Es sind fast auf den Tag anderthalb Jahre, seit ich den impulse-MBO-Vertrag unterschrieben habe. Und schon hänge ich fest mit meinen Gedanken: Was mache ich hier eigentlich? Hier am Berg? Und in Hamburg? War mir eigentlich klar, was ich damals tat, als ich mich entschied, Unternehmer zu werden?
Es war eine Unterschrift. Ein formaler Akt – nach wochenlangen Verhandlungen (siehe den damaligen Blog-Eintrag: https://impulsemagazin.wordpress.com/2013/01/09/mittwoch-9-januar/). Was diese Unterschrift wirklich bedeutete, ahnte ich damals nicht (so wie man auch nicht versteht, was es bedeutet, ein Kind in die Welt zu setzen – bis man es selbst erlebt). Es überwog die Entschlossenheit, zusammen mit dem impulse-Team ein hervorragendes Magazin weiterzuführen, dazu die Lust, etwas Eigenes aufzubauen. Und die Lust auf Freiheit.
Anderthalb Jahre später hat sich an dieser Lust und Entschlossenheit kein Deut geändert. Wann immer ich gefragt werde, ob ich den Schritt bereut habe (und ich werde tatsächlich häufiger gefragt), verneine ich prompt, ohne einen Moment nachzudenken.
Und doch hat sich einiges geändert. In irgendeinem Interview habe ich mich einmal selbst als verlegerisches Greenhorn beschrieben, und das trifft auch zu. Nicht von vornherein das zu tun, was Verleger seit jeher tun, sondern vermeintlich Selbstverständliches zunächst in Frage zu stellen, hat uns als junges Team sicherlich nicht geschadet – im Hinblick auf das Ziel, ein nachhaltig profitables Unternehmen aufzubauen. Aber jetzt, an der Steilwand in den Dolomiten, geht es nicht um strategische Entscheidungen. Es geht um mehr.
Der Blick in den Abgrund – vielleicht ist es genau das, was ich lange ausgeblendet habe. Es gibt eben nicht nur die Faszination: die grandiose Landschaft, die bizarren Felsformationen, das phantastische Licht, den Blick in die Weite. Es gibt auch die Kehrseite – samt Abgrund. Zunächst: Es ist unglaublich anstrengend. Wer einen schwierigeren Klettersteig bewältigen möchte, braucht einen langen Atem, gute Kondition, Trittsicherheit. Man sollte keine (oder nicht zu viel) Angst haben, sich möglichst absichern und Gefahren realistisch einschätzen, auch wenn ein Restrisiko bleibt.
Im Unternehmertum gibt es das nicht, was im Gebirge alltäglich ist: Bergführer, die die abwegige Pfade, heikle Passagen, vor allem aber den Weg zum Ziel kennen, egal wie groß der Schwierigkeitsgrad auch sein mag. In der Wirtschaft mag es Mentoren, Berater und erfahrene Sparringspartner geben, aber niemanden, der den eigenen Weg schon einmal gegangen ist. Unternehmertum lebt vom Unkalkulierbaren, aber das macht ja auch den Reiz aus.
Das Unkalkulierbare: Als wir vor anderthalb Jahren anfingen, fühlte sich – bei aller Anstrengung – alles leicht an. Wer etwas neu startet, ist voller Euphorie, sieht vor allem das Positive, erfreut sich an den ersten Erfolgen. Mit der Zeit zeigt sich: Es ist auch ein harter Kampf. Man kämpft an gegen Gepflogenheiten der Branche, egal wie absurd sie auch sein mögen; viel kann man als kleiner Akteur dagegen nicht ausrichten. Nicht jeder empfängt einen mit offenen Armen und führt Gutes im Schilde, auch wenn dies anfangs so scheinen mag. Auch intern wird bald klar: Man kann seinen Mitarbeitern, bei allem Engagement (und das ist bei impulse enorm!), nicht alles zumuten. Alles hat seine Grenzen. Und auch das gehört zum Lernprozess: dass man, wie stark man sich auch bemüht, nicht vor Fehlern gefeit ist. Was sich im Nachhinein einmal als geradliniger Erfolg darstellt (oder so dargestellt wird), sind in Wahrheit lauter Umwege, Rückschritte oder Neuanfänge (unsere nächste Titelgeschichte Ende Juli dreht sich übrigens um das Thema Fehlerkultur). Vielleicht hat das ja auch sein Gutes: nicht nur die Höhen, sondern auch die Tiefen zu kennen.
Was also, wenn einem an der Felswand all das durch den Kopf schießt? Zunächst: Langsam durchatmen. Still halten. Sich die nächsten Schritte und Handgriffe gut überlegen. Zwei Stunden später hatte ich den Gipfel erreicht, erschöpft, aber glücklich. Vom festen Grund aus bot sich ein phantastischer Blick auf die nächsten Bergmassive – und den Abgrund. Weiter geht’s!