Den deutschen Medien war der Verkauf des renommierten US-Wirtschaftsmagazins „Forbes“ an chinesische Investoren am Freitag meist nur eine kurze Meldung wert. „Forbes-Familie gibt Kontrolle über Verlag ab“ oder „Asiaten übernehmen Mehrheit an Forbes-Verlag“, lauteten die Schlagzeilen. In einem Satz wurde noch ein Kontext mitgeliefert:
Der Verkauf geschieht vor dem Hintergrund der schwierigen Lage im klassischen Magazingeschäft, das unter der Abwanderung von Lesern und Anzeigenkunden ins Internet leidet.
Ein weiterer Fall eines Familienunternehmens, das in dritter Generation seine Anteile versilbert – solange dies noch möglich ist? Immerhin wurde der Verlag bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von Bertie Charles Forbes gegründet, vom Großvater des heutigen Chefredakteurs und Herausgebers Steve Forbes. Über die genauen Modalitäten der Transaktion ist bislang wenig bekannt geworden, umso interessanter ist die Branchenanalyse, die Steve Forbes bei der Bekanntgabe des Deals lieferte (http://www.forbes.com/sites/steveforbes/2014/07/18/the-next-frontier-for-forbes/).
Es ist selten, dass jemand so deutlich beschreibt, welch einen radikalen Strukturwandel die Medien gerade durchmachen. Das Internet, schreibt Forbes, habe das Geschäftsmodell der Kommunikationsindustrie „weggesprengt“. Mit der Erfindung von Drucktechniken in den 1830er-Jahren sei es möglich geworden, Zeitungen und Magazine günstig zu drucken; es sei die Geburtsstunde der Massenmedien gewesen. Finanziert worden sei die Branche aber vor allem von Anzeigengeld. Auflage sei für die meisten Publikationen vor allem ein Lockmittel gewesen, anders ausgedrückt: Die Kosten für die Abonnements überstiegen das, was die Leser dafür zahlten. „Reporters and editors created content and advertising paid the bills”, bringt der Journalist und Unternehmer dies auf den Punkt. „Journalisten schufen Inhalte, und Anzeigenkunden beglichen dafür die Rechnung.“
Vielleicht besteht die Tragik ja darin, dass sich die meisten Medien weiter an dieser traditionellen Dreieckskonstruktion festklammern, während das Internet den Verlagen längst die Grundlage für dieses Geschäftsmodell entzieht: Heute kann jeder quasi kostenlos Inhalte veröffentlichen (wenn auch mit unterschiedlicher Qualität, Perspektiven, Interessen etc.); entsprechend wandern die Anzeigengelder dorthin, wo die Massen hinströmen, zu Google, Facebook oder anderen Websites. Dies geht auf Kosten der Printanzeigen, deren Volumen Jahr für Jahr weiter schrumpft. Inhalte seien heutzutage, so Forbes, bis auf wenige Ausnahmen (und keiner wisse, wie lange es sie noch gebe) kostenlos verfügbar, „wie Brot und Wasser in Restaurants.“ Die Bewegung, in die alles geraten sei, habe „erschütternde“ Auswirkungen für die alteingesessenen Medienunternehmen. Die kreative Zerstörung, die das Internet mit sich bringe, habe gerade erst begonnen.
So weit, so zutreffend. Nur: Erstaunlich ist der Verkauf der Mehrheitsanteile durch die Familie dennoch. Immerhin hat der Verlag (wie vielleicht kaum ein anderes Medienunternehmen) diese fundamentalen Entwicklungen sehr früh erkannt und sich in den vergangenen Jahren quasi neu erfunden hat – mit einem ausgeklügelten Contributor-System, neuen Formen der Interaktion, neuen Anzeigenformaten etc. Nicht ohne Grund bezeichnet Forbes‘ Chief Product Officer, Lewis D’Vorkin (Foto), der diesen Wandel maßgeblich vorangetrieben hat, Forbes gerne als 97-jähriges Start-up.
Als ich D’Vorkin vor zwei Wochen, im altehrwürdigen Forbes-Gebäude an der 5th Avenue in New York (sie beziehen bald neue Räume), nach dem Grund für den anstehenden Verkauf fragte, wurde er, der sonst sehr auskunftsfreudig ist, sehr wortkarg.
Er konnte nichts sagen, der Deal stand kurz vor dem Abschluss. In einem Blogeintrag von heute gibt er zu, dass der Verkaufsprozess in den vergangenen Monaten auch abgelenkt habe. „No one enjoys uncertainty.“ Wichtig sei aber, dass das Team auch in dieser ungewissen Zeit guten Journalismus betrieben habe.
Was also bedeutet der Deal? Ist es ein Signal, dass selbst diejenigen, die sich an die Spitze innovativer Experimente in der Medienbranche gesetzt haben, den Glauben an ein funktionierendes Geschäftsmodell verloren haben? Die endlose Liste an neuen Projekte, an denen Forbes gerade arbeitet (siehe http://www.forbes.com/sites/lewisdvorkin/2014/07/21/inside-forbes-after-our-sale-what-it-means-and-where-were-headed/), weist zumindest nicht in diese Richtung. Klar ist aber auch: Selbst wenn es den New Yorkern im Kern um unabhängigen Journalismus geht, versteht sich Forbes längst als Technologie-Unternehmen und als starke Marke, unter deren Dach neue Geschäftsmodelle entstehen können. Forbes-Manager Lewis D’Vorkin selbst spricht von einem „global media, branding and technology business that supports the independent journalism“.
Forbes ist vor diesem Hintergrund – trotz Verkauf – ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich ein Verlag radikal verwandeln kann und sich doch treu bleibt. Bei all den Änderungen in ihrem Geschäftsmodell, die sie in den vergangenen Jahren vorgenommen hätten, habe es keine erprobte Vorlage gegeben, schreibt Steve Forbes, aber eines hätten sie immer im Kopf gehabt: die Warnung des Management-Gurus Peter Drucker, sich immer daran zu erinnern, was ihr eigentlicher Auftrag, ihre Mission sei.
Do that and you will be less likely to get held back if the means of achieving that mission fundamentally change. (“Wenn Sie das tun, ist es unwahrscheinlicher, dass Sie aufgehalten werden, wenn sich die Mittel, um diesen Auftrag zu erreichen, fundamental verändern.”)