Es gab Zeiten, da zweifelte niemand daran, dass es sich bei Gruner+Jahr um ein Familienunternehmen handelte. Im Frühjahr 1980 etwa, als bereits die ersten Nullnummern von „impulse“ vorbereitet wurden, kurz vor dem Start. Verleger John Jahr, der sich 1971 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hatte und in den Aufsichtsrat gewechselt war, lud die leitenden Angestellten zu seinem 80. Geburtstag in die Kantine ein – eine Szene, die Wolf Schneider in seiner „Gruner+Jahr-Story“ (http://www.amazon.de/Gruner-Jahr-Story-Wolf-Schneider/dp/3492042651) aus dem Jahr 2000 beschreibt. Der Patriarch plauderte aus seinem Leben. Manchmal habe er sich über den Verlag geärgert, verriet John Jahr offenherzig. Es sei sogar vorgekommen, dass er erwogen habe, seinen Anteil zu verkaufen. „Aber da haben meine Kinder gesagt: Papa, was willste denn mit 300 Millionen! Na ja, und da hab‘ ich halt nicht verkauft!“ Die Reaktion der G+J-Angestellten in der Kantine: „Unmut und halbunterdrücktes Gelächter“. Daraufhin habe der alte Mann losgepoltert: „Was wollen Sie denn! Sie können auch jeder jeden Tag ein Steak essen, und drei Steaks am Tag essen kann ich auch nicht.“
34 Jahre später. Die Verlagsgründer John Jahr, Gerd Bucerius und Richard Gruner sind längst tot. Und das Gefühl, in einem Familienunternehmen zu arbeiten, ist seit vielen Jahren abhandengekommen. „Papa, was willste denn…“ Auf dem Papier handelt es sich zwar weiterhin um ein Familienunternehmen: Doch selbst wenn sich die „Hamburger Verlegerfamilie“ Jahr Ende Oktober zurückzieht, wird der künftige 100-Prozent-Eigner Bertelsmann weiter von einer Familie kontrolliert, den Mohns aus Gütersloh. Für die alltäglichen Entscheidungen spielt dies keine Rolle, das Sagen hat ein kühler Zahlenmensch. Und so entspringt das Bedauern über das Ausscheiden der Jahrs und einen möglichen Ausverkauf – es gab halt keine Kinder mehr, die gesagt haben, „was willste denn mit 300 Millionen?“ – wohl eher einer nostalgischen Verklärung als einer nüchternen Analyse der Gegenwart: Wie schön war es doch damals, in den 1990ern oder 1980ern, als noch Geld für vermeintlichen Qualitätsjournalismus (und Hitlertagebücher) da war, oder gar 1965, dem Gründungsjahr von Gruner+Jahr, als der Minirock erfunden und Ludwig Erhard als Kanzler bestätigt wurde. Aufbruchszeit, Wirtschaftswunderzeit.
Die Zeiten sind vorbei. Und auch die Reputation des einst „größten Zeitschriftenverlags Europas“ hat arg gelitten. Gruner + Jahr eilte einmal ein tadelloser Ruf voraus – als Traumadresse für ambitionierte Journalisten: Ich erinnere mich noch gut an eine Szene Anfang der 1990er-Jahre, als ich zusammen mit anderen jungen Journalistenschülern zu einer Akademie nach Hamburg kam. Der „Stern“ empfing uns am Baumwall zu einem Redaktionsgespräch. Keine Ahnung, was genau an diesem Nachmittag Thema war. Gut erinnern kann ich mich aber noch an die ausladenden Gesten eines Redakteurs (der später Karriere machen sollte), der in seinem Stuhl versank und uns staunenden Journalistenschülern vollmundig erzählte, Geld spiele bei ihnen keine Rolle. Wenn es schnell gehen müsse, nehme man einfach einen Helikopter. Wahnsinn, dachten wir, was für ein Beruf! Aber Größenwahn (dieses Wort wäre uns damals gar nicht in den Sinn gekommen) endet ja bekanntlich nie gut.
Was die Jahrs angeht, sind sie übrigens eine ganz normale Familie. Mit jeder Generation wird es schwieriger, die Familie zusammenzuhalten – und sie, angesichts auseinander strebender Interessen und Ambitionen, hinter der eigenen Firma zu versammeln. Nur 12 Prozent der Familienunternehmen gelingt dies noch in der dritten Generation. Immer wieder bewahrheitet sich das Sprichwort: „Der Erste erstellt’s, der Zweite erhält’s, dem Dritten zerfällt’s.“
Ein schöne Geschichte aus der Vergangenheit in Hamburg
Herr Förster.
Meine lebende Mutter (96 Jahre) kommt aus Hamburg und ich muß des
öfteren an den Satz von Joseph Beuys denken im Zusammenhang
mit der verhinderten Spülfeld-Pflanzaktion in Hamburg.
„Wir sind jetzt auf der Schiene des Wahnsinns“. Joseph Beuys
Von Hamburg/Deutschland nach Fukushima/Japan ist es wohl
mit dem Flugzeug ein Katzensprung.
Mit dem Helikopter dauert es wohl länger.
Herzliche Grüße
Wolfgang Püschel
püschel
artpromotion
http://www.beuys-photoedition.de
13.10.2014
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