„Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist!“

Was für ein grandioser Ausblick auf den Hamburger Hafen – und was für eine schöne Kulisse zur diesjährigen Preisverleihung zum „Familienunternehmer des Jahres“ auf dem Dach des Atlantic-Hauses – eine Auszeichnung, die die Verbände „Die Familienunternehmer“ und „Die jungen Unternehmer“ in der Hansestadt bereits seit 1994 vergeben.

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Dass in diesem Jahr die Unternehmerfamilie Stürken geehrt wurde, hat mich besonders gefreut – nicht nur, weil es sich um treue impulse-Leser handelt, sondern sondern vor allem, weil es den Stürkens mit dem Generationswechsel gelungen ist, sich völlig neu zu erfinden – keine Selbstverständlichkeit. Ein spannendes Interview mit einem der Preisträger  finden Sie hier: Interview mit Axel Stürken („Bis eine Idee zündet, sind neun andere gescheitert“). Ich wurde gebeten, die Laudatio zu halten – was ich gerne getan habe. Hier ist sie:

Die Laudatio auf die Hamburger „Familienunternehmer des Jahres 2019“

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Unternehmerinnen und Unternehmer! Liebe Angestellte!

Stellen Sie sich vor, Sie sind 26 Jahre alt, haben das Studium gerade abgeschlossen, fühlen sich geehrt, dass Ihr Vater, ein erfolgreicher Unternehmer, Sie gefragt hat, ob Sie ihm nachfolgen wollen – er Ihnen also offenbar etwas zutraut.

Stellen Sie sich vor, Sie wären dem Ruf des Vaters tatsächlich gefolgt – in einen Verlag mit damals knapp 200 Mitarbeitern, der vor allem mit Briefmarkenalben Geld verdient. Einige Dutzend Mitarbeiter kleben gar in Heim- und Handarbeit Polystyrol-Taschen, also hauchdünne Schutzstreifen aus Kunststoff, in die Alben, um den Briefmarken einen festen Halt zu geben. Kein Verrutschen mehr! Kein Herausfallen! Ein Traum für passionierte Sammler! Vor allem für Männer, für alternde Männer!

Stellen Sie sich den ersten Arbeitstag vor: Ihr Vater, damals Ende 50, führt Sie zu Ihrem Schreibtisch. Er ist leer. Nichts ist darauf abgelegt, gar nichts. Und der Vater schweigt. Ende der Übergabe. Selbst wenn es das Wort „Onboarding“ damals schon gegeben hätte – es fand nicht statt. Der Vater – selbst unerfahren, weil er nie zuvor einen Sohn eingestellt hat – lässt ihn einfach machen. Nach dem Motto: „Junge, mach mal!“ Und so legt Axel Stürken einfach mal los, ein paar Jahre später stößt auch der jüngere Bruder Max dazu.

Und dann stellen Sie sich bitte, ein paar Jahre später, eine weitere Begegnung vor: Es läuft. Sie haben sich gut in die Materie eingearbeitet, doch dann sagt Ihnen ein Wirtschaftsprüfer in einem Strategieworkshop einen Satz, den Sie nicht mehr vergessen werden: „Ihre Firma ist sehr erfolgreich, aber völlig perspektivlos.“

„Erfolgreich, aber völlig perspektivlos“ – was für ein ernüchterndes Urteil, wenn man in Generationen, nicht in Quartalen denkt.

„Erfolgreich, aber völlig perspektivlos“ – dies könnte auch eine Zustandsbeschreibung für andere Familienunternehmen sein, die irgendwann vom Markt verschwinden werden, es aber noch nicht ahnen. Wer wird beispielsweise die Veränderungen durch die Digitalisierung meistern? Wer wird das 21. Jahrhundert überdauern?

Ertragreiche Geschäfte verführen zu Trägheit

Der Blick auf die Wirtschaftsgeschichte zeigt, wer besonders gefährdet ist: Unternehmen, die so hohe Erträge erwirtschaften, dass sie träge werden – und dadurch der verhängnisvollen Illusion erliegen, die Erfolge der Vergangenheit ließen sich in die Zukunft fortschreiben. Ertragreiche Geschäfte – sie verführen zu Trägheit.

Doch die Stürkens – sie tappen nicht in diese Falle. Sie lassen sich nicht von gut laufenden Geschäften täuschen, so lukrativ es auch sein mag, Sammler jedweder Spielart glücklich zu machen. Heute werden längst auch Bierdeckel gesammelt, Kronkorken und Champagnerdeckel! Wir machen „alles, außer Marke und Münze“, haben die Stürkens einmal ihre Unternehmensmaxime beschrieben. Aber reicht dieser Fokus aus, um das Überleben der Firma über Generationen hinweg zu sichern?

Dass wir heute hier in Hamburg die Stürkens als „Familienunternehmer des Jahres“ feiern, hat vor allem damit zu tun, dass sich die Familie nicht auf Erfolge der Vergangenheit ausgeruht, sondern sich völlig neu erfunden hat. Daran hat Kurt Stürken, der 1962 als Angestellter anfing und sich zum Gesellschafter hocharbeitete, einen großen Anteil. Er war nicht nur selbst höchst erfolgreich, sondern stellte auch die Weichen für die Zukunft. Auch heute gibt es ja noch viel zu viele Unternehmer, die gar nicht daran denken, rechtzeitig Platz zu machen für die nächste Generation. Oder dies nur pro forma tun, aber eigentlich weiter das Sagen haben. Dies mag das eigene Ego stärken, nicht aber die Firma.

Kurt Stürken dagegen leitete den Generationswechsel schon mit Ende 50 ein und ließ seine Kinder machen: Axel, dann Max, schließlich Moritz. Sie führten nicht nur das unternehmerische Vermächtnis des Vaters weiter, sondern entwickelten die Firma mutig weiter – mit neuen Ideen, Produkten und Geschäftsfeldern. Sich neue Perspektiven zu erarbeiten – das war ihr Ziel.

Ein Vater, der seinen drei Söhnen den Freiraum gibt, eigene unternehmerische Ideen zu entwickeln – das ist nicht selbstverständlich. Aber vorbildlich. Und so sind die Stürkens ein herausragendes Beispiel dafür, wie fruchtbar ein Generationswechsel sein kann – wie es gelingen kann, als Familienunternehmen die Tradition zu bewahren und zugleich, auf der Basis gemeinsamer Werte, ganz neue zukunftsträchtige Geschäftsfelder aufzubauen.

Los ging es vor 102 Jahren, in Aschersleben, im heutigen Sachsen-Anhalt. Damals, im Mai 1917, gründete der Drucker und Lithograph Paul Koch, den KABE-Verlag – KABE steht für Koch & Bein, seinen Kompagnon. Er fertigte Briefmarkenalben, aber auch Mappen und Binder für die Ablage von Briefen, Rechnungen oder Verträgen. Eines der ersten Produkte war der PEKA-Klemmbinder: Mit festen Kartondeckeln und im Rücken verborgenen Stahlfedern ermöglichte er es, Unterlagen wie in einem Buch zu binden – ohne die Blätter zu lochen, zu heften oder zu kleben.

In den 1930er-Jahren musste Koch seine Firma verkaufen, knüpfte aber nach Kriegsende, 1948, an die Tradition an und gründete in Hamburg seinen zweiten Verlag – unter dem Namen Leuchtturm. Die Firma wuchs so stark, dass sie 1956 nach Geesthacht umzog, wo mehr Platz für die inzwischen 300 Mitarbeiter war. Fast alles wurde noch per Hand gefertigt: Mit guten Perspektiven.

Die Ära der Stürkens beginnt 1962, als Kurt Stürken zunächst zur Firma stößt und das Exportgeschäft in den USA und Kanada aufbaut – und zwar so erfolgreich, dass er zehn Jahre später Mitgesellschafter wird, die Familie später sogar die Mehrheit der Anteile übernimmt.

Ein anderes Jahr der Wiedervereinigung: 1997

In den 1990er-Jahren werden wichtige Weichen gestellt: Nicht nur treten die beiden ältesten Söhne ins Unternehmen ein, auch gelingt es der Familie, Paul Kochs ersten Verlag zu übernehmen – und damit seine beiden Gründungen in einer Firma zusammenzuführen. Vorausgegangen war eine Odyssee: Der KABE-Verlag hatte nach dem Verkauf in den 1930er-Jahren unter den neuen Eigentümern zwar den Krieg überdauert, wurde in der DDR aber verstaatlicht, so dass die Inhaber nach Göppingen flüchteten und die Firma dort neu aufbauten – und sie schließlich weiterverkauften. So wurde 1997 für die Stürkens zu einem Jahr der Wiedervereinigung.

Es sind die Jahre, als viele Firmen aufgeben – auch weil sie keine Nachfolger finden oder es ihnen an Ideen mangelt, wie sie sich behaupten könnten. Anders der Leuchtturm-Verlag, der immer wieder kleinere Firmen übernimmt und sich Schritt für Schritt selbst neu erfindet: mit Ideen der nächsten Generation, die der Gruppe in den folgenden Jahren und Jahrzehnten ganz neue Perspektiven eröffnen:

  • Anfang 2000, inmitten der New-Economy-Euphorie, als die Aktienmärkte sich noch im Höhenflug befinden, wagen es Axel und Max Stürken, einen Premium-Versandhandel zu gründen: für seltene und klassische Produkte, auch für Drucksachen, vor allem aber für Geschirr, Textilien, Möbel, später gar für Lebensmittel. Warum, so ihre Idee, nicht die Logistik und das Lager des Verlags für ein neues Projekt nutzen? Sie nennen ihre neue Marke “Torquato“, das klingt ausgefallen, aus der Zeit gefallen. Aber genau so soll es so sein. Die Brüder lassen sich dabei von einem Satz Torquato Tassos aus Goethes gleichnamigem Schauspiel inspirieren: “Erlaubt ist, was gefällt.” Als Leitmotiv wählen sie die Worte „ausgesucht gut“. Im November 2000 ist es soweit: Die erste Bestellung geht im Online-Shop ein – ausgerechnet von einem Betrüger: Jemand ordert eine beträchtliche Anzahl silberner Zippo-Feuerzeuge. Torquato liefert – und bleibt auf der Rechnung sitzen. Aber davon lassen sie sich nicht beirren. Die Bestellungen laufen ein, der erste Katalog wird gedruckt – langsam etabliert sich die neue Marke, zunächst gehen vor allem Bestellungen per Fax und Telefon ein, später dann online. Während die meisten New-Economy-Gründungen längst Geschichte sind, umfasst das Torquato-Sortiment heute 6000 Produkte. Inzwischen gibt es sogar fünf Ladengeschäfte – auch in Hamburg, in den Großen Bleichen.
  • Als im Januar 2002 die Euro-Münzen eingeführt werden, landen Max und Axel Stürken einen weiteren Coup: Sie bringen ein Euromünzen-Sammelalbum heraus – von der portugiesischen 1-Cent-Münze bis zum französischen Euro-Stück – und verkaufen davon allein im ersten Jahr 500.000 Stück – so schaffen sie einen Umsatzsprung von 50 Prozent! Sie bauen daraufhin den Bereich Münzzubehör weiter aus: mit Kassetten, Koffern und Kapseln, mit Lupen, Lampen usw. Die Anzahl der Briefmarkensammler mag zwar zurückgehen, nicht so aber die der Münz-Sammler. Die Deutschen, so scheint es, lieben ihr Geld.
  • Und dann 2005 die Idee zur Notizbuch-Marke „Leuchtturm1917“, die die Stürkens neu aufbauen! Man muss der Marke Moleskine, die seit Ende der 1990er-Jahre hochwertige Notizbücher wieder populär gemacht hat und inzwischen von Investoren gesteuert wird, ja nicht das Feld überlassen. „Details machen den Unterschied“, lautet der Slogan der neuen Marke. Und so nutzen sie tintensicheres Papier, nummerieren die Seiten, fügen ein Inhaltsverzeichnis hinzu, perforieren am Ende einige Seiten, legen Aufkleber bei – und schufen eine ganze Farbpalette an Notizbüchern. Inzwischen verkaufen die Stürkens etwa 3 Millionen Exemplare pro Jahr – und erwirtschaften damit fast die Hälfte des gesamten Umsatzes.

Sie sehen: Aus einem Spezial-Verlag, der vor allem von passionierten Briefmarkensammlern lebte, ist etwas Neues erwachsen – mit inzwischen 500 Mitarbeitern und Standorten in neun Ländern und vier Kontinenten.

Die Leuchtturm-Gruppe ist ein herausragendes Beispiel dafür, was möglich ist, wenn sich ein Familienunternehmen neu erfindet. Den Stürkens ist es gelungen, ihre Liebe für analoge Produkte und ihre Wertschätzung für Qualität mit Digital-Know-how zu verknüpfen – und sich auf diese Weise unternehmerisch exzellent aufzustellen: Sie zeigen mit ihren Marken, dass es gerade in einer digitalen Welt auch analoger Produkte bedarf, die man anfassen, anziehen und aufessen kann – und wie sich damit Geld verdienen lässt. Sie haben damit eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass es sich lohnt, auf der Grundlage der eigenen Werte und Stärken neue Wagnisse einzugehen.

Max Stürken zitiert gerne einen Satz von Henry Ford, der dies auf den Punkt bringt: „Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.“

Liebe Familie Stürken, ich gratuliere Ihnen – auch im Namen der gesamten Jury – zum Hamburger Preis „Familienunternehmer des Jahres 2019“. Herzlichen Glückwunsch!IMG_1209

Veröffentlicht in MBO

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