Wettlauf mit der Zeit

Vielleicht ist es ja ein Trost, dass niemand, wirklich niemand sich vorstellen konnte, wie schnell sich das Coronavirus ausbreiten – und fast die gesamte Welt zum Stillstand bringen – würde. Ich zumindest konnte es nicht. Und auch jetzt kann ich kaum begreifen, was passiert ist. Mein Leben wurde völlig umgekrempelt. Und das von impulse.

Anfang des Monats noch war ich in San Francisco, begrüßte mehrere Dutzende deutsche Unternehmer zum Start unserer Silicon-Valley-Tour. Es sei keine gewöhnliche Woche, die jetzt starte, sagte ich zu der Reisegruppe in einem Hotel am Flughafen von San Francisco. Am Vorabend hatte es den ersten Corona-Toten in den USA gegeben. Der Staat Washington hatte umgehend den Notstand ausgerufen, während Donald Trump noch von einem „Hoax“ sprach, einer Falschmeldung. Alles werde von den Medien und Demokraten aufgebauscht. Die Börsen waren da längst auf Talfahrt.

San Francisco spiegelt sich in einer Sonnenbrille
Blick auf San Francisco – vom Aussichtspunkt Twin Peaks

Beunruhigende Signale also. Und doch hätte ich nicht für möglich gehalten, mit welcher Geschwindigkeit sich das Coronavirus dann ausbreiten würde. Kaum hatten wir unser Programm gestartet, sagte uns unser Gesprächspartner bei LinkedIn kurzfristig für den nächsten Morgen ab. Einen Ersatz habe er nicht auftreiben können, entschuldigte er sich.

Am Mittwoch rief Kalifornien – angesichts neuer Corona-Fälle – den Notstand aus. Tags drauf meldete sich Eric Yuan, der Gründer des Videokonferenzanbieters Zoom, und sagte unseren Termin ab. Er hatte gerade sämtliche Mitarbeiter nach Hause geschickt. Unser Versuch, das Gespräch stattdessen über Zoom stattfinden zu lassen, scheiterte am schwachen WLAN. Und auch der Google-Campus, den wir am letzten Tag besuchen wollten, wurde kurzerhand abgeriegelt.

Trotz dieser Absagen überwog in mir ein Gefühl der Erleichterung – die meisten Termine (in Stanford, Berkeley, bei Boot Up, Plug & Play etc.) hatten wir noch absolvieren können. Meinem Team schrieb ich im impulse-Chat, die Woche sei mir vorgekommen wie ein Wettlauf mit der Zeit: Sind wir noch gerade rechtzeitig? Oder war das Coronavirus mal wieder schneller? Glück gehabt, dachte ich. Wir hatten es gerade noch geschafft! Und so flog ich zurück nach Europa und freute mich auf ein paar freie Tage beim Skifahren in Tirol.

Poster eines Skifahrers
Am Freitagabend, dem 13. März, erklärte das Robert-Koch-Institut ganz Tirol zum Risikogebiet

Wie naiv! Von Tag zu Tag spitzte sich die Situation zu. Mittwochs schließlich fing ich langsam an, zu begreifen. Allmählich wurde mir klar, dass uns da etwas entglitt. Es wurde ernst – und mit einem Mal spürte ich die Verantwortung, die ich hatte. Statt Ski zu fahren, verbrachte ich gefühlt die meiste Zeit auf der Piste mit dem Handy am Ohr und telefonierte mit den impulse-Kollegen in Hamburg und Kopenhagen. Dann war klar: Wir müssen jetzt handeln.

Am nächsten Vormittag trommelten wir das gesamte Team zusammen; ich selbst konnte nicht dabei sein, der Handyempfang war zu schlecht. Alle wurden dringend gebeten, ab dem nächsten Tag im Home-Office zu arbeiten. Für die wenigen, die noch nicht ausgestattet waren, bestellten wir die nötige Hardware, also Kameras oder Mikrofone.

„Was in Sachen Corona gerade passiert – und wie wir damit umgehen –, ist für uns alle Neuland“, schrieb ich von Österreich aus meinem Team „Es ist ein Balanceakt: Was sollten wir vernünftigerweise tun (oder lassen), ohne dabei in Aktionismus zu verfallen, aber auch nicht zu ignorieren, welche Risiken bestehen? Die Auswirkungen der Pandemie sind – auch für impulse – ja jetzt schon deutlich zu spüren.“

Auch da dachte ich noch, alles sei irgendwie beherrschbar. „Am Samstagabend bin ich wieder in Hamburg“, schrieb ich. „Ich freue mich, Euch dann nächste Woche wiederzusehen – die meisten wahrscheinlich zunächst digital, hoffentlich bald aber auch wieder IN ECHT ;)“

Kurz darauf stufte das Robert-Koch-Institut ganz Tirol als Corona-Risikogebiet ein; mit einem Mal galt ich, obwohl es mir blendend ging, als potenzieller Virusüberträger. Ich konnte es nicht fassen. Und in dem Moment wurde mir klar: Das Virus hat mich längst eingeholt. Die Erleichterung, die ich noch eine Woche zuvor verspürt hatte, war plötzlich nichts mehr wert. Ich hatte mich getäuscht.

Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg zurück nach Hamburg, ging – ohne meinen Verlag noch einmal betreten zu haben – direkt nach Hause. Ich tat, worum das Bundesgesundheitsministerium Tirol-Rückkehrer wie mich dringend gebeten hatte: Ich isolierte mich. „Wir haben den ersten Quarantäne-Fall im impulse-Team“, schrieb ich dem Team, „ich selbst.“

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