Eine Krise ist eine Krise ist eine Krise

Eine Krise ist eine Krise ist eine Krise. Vielleicht muss man das erst einmal festhalten, damit kein falscher Eindruck entsteht, auch wenn sich im weiteren Verlauf dieses Textes ein anderes Wort zu behaupten versucht: das der Chance. So einschneidend die Corona-Krise auch sein mag – sie bringt auch Neues hervor.

Wolken

Ich selbst habe ein paar Wochen gebraucht, um zu begreifen, was da gerade passiert. Anfangs beobachtete ich dies noch aus der Distanz, mit einer guten Portion Ungläubigkeit und Naivität. Erst als sich die Situation weiter zuspitzte, dämmerte mir langsam, dass dieses mediale Großereignis nicht spurlos an mir vorbeiziehen wird. Anzeigen wurden storniert, Veranstaltungen abgesagt. Jede einzelne Nachricht war für sich genommen nicht dramatisch. Und doch veränderte sich von Tag zu Tag mein Gefühl: Mir wurde mulmig. Es war, als ziehe ein Gewitter über mir zusammen. Ich kalkulierte, mit welchen Verlusten wir bis zum Jahresende zu rechnen hatten, und erschrak: Die Zahl war siebenstellig. Eine Katastrophe. Wie sollten wir das finanziell überleben?

Dann ging alles sehr schnell, als sei ein Schalter umgelegt worden. Es war keine bewusste Entscheidung, es passierte einfach. Ich zeigte in dieser Ausnahmesituation wohl eines der biologischen Stressreaktionen „fight, flight or freeze“, die einem in schierer Not das Überleben sichern: Fliehen, kämpfen oder sich tot stellen – in der Hoffnung, dass die Gefahr vorbeizieht?

Wenn der Körper rebelliert

Ich kämpfte – und verlor in jenen Wochen jegliches Zeitgefühl. Ich schlief nur wenige Stunden und war doch äußerst fokussiert: Auch wenn ich nicht wusste, wie sich die kommenden Wochen entwickeln würden, so war mir bei aller Ungewissheit eine Sache völlig klar: Eine Überlebenschance würden wir nur haben, wenn wir all unsere Ressourcen darauf konzentrierten, unsere Kunden JETZT zu unterstützen. Wir mussten schnell – sehr schnell – sein, den impulse-Mitgliedern echte Unterstützung bieten und damit auch unsere eigene finanzielle Basis sichern.

Es herrschte ein völliger Ausnahmezustand. Ich sprach mit unzähligen Unternehmern, die hilflos, verzweifelt, zum Teil auch wütend waren. Sie konnten nicht fassen, was da gerade passierte. Einige zeigten sich resigniert, fast gelähmt; sie spielten mit dem Gedanken, alles aufzugeben. Auch ich selbst war irritiert: Ich beobachtete mich, wie ich zuweilen die Kontrolle und die Beherrschung verlor. Es war, als würde mein Körper rebellieren und mir nicht mehr folgen. Er scherte sich nicht mehr um das, was ich von ihm verlangte: Bewahre die Fassung! Mach weiter! Funktioniere!

Crashkurs im Krisenmanagement

Ich erlebte eine Achterbahn der Gefühle. Ich ertappte mich dabei, wie ich kurz in Selbstmitleid versank, mich als Opfer fühlte, bevor ich wieder auftauchte und den Blick nach vorne richtete. Ich machte weiter. Und das impulse-Team, dem ich wahnsinnig viel abverlangte, zog mit: Tag für Tag brachten wir Corona-Briefings für unsere Mitglieder heraus, bauten binnen weniger Tage ein neues Portal auf (www.impulse.de/corona), holten die besten Experten an Bord, so dass die Mittelständler (und ich selbst…) Antworten auf ihre individuellen Fragen erhielten. Es war ein Crash-Kurs in Krisenmanagement, dem ich mich selbst unterzog – und mit mir Tausende andere Unternehmer aus dem impulse-Netzwerk.

Wenn mir jemand Anfang des Jahres gesagt hätte, das impulse-Team werde innerhalb von zwei, drei Wochen etwas völlig Neues aufbauen – ich hätte wahrscheinlich gelächelt, mich vielleicht sogar für das große Zutrauen bedankt. Aber geglaubt hätte ich es nicht. Ich bin eines Besseren belehrt worden. Wir haben uns völlig neu erfunden.

Ja, das Magazin gibt es nach wie vor, und ich hoffe, dass Druckerei und Post uns nicht im Stich lassen, so dass die Mai-Ausgabe, die wir heute fertig gemacht haben, nächste Woche heil im Briefkasten landet. Und doch richtet sich der Fokus in einer Zeit, in der schnelle Entscheidungen Not tun, immer stärker auf digitale Kanäle. Die Stärke des impulse-Netzwerks lässt sich – angesichts der Corona-Krise – vor allem digital erleben: schnell, interaktiv und emotional. Schon vor Jahren bezeichneten wir impulse als „Netzwerk“, doch erst jetzt entwickelt die Marke ihre eigentliche Kraft: Tag für Tag versorgen wir Unternehmer mit relevanten Informationen, verschaffen ihnen direkten Zugang zu Top-Experten und bringen sie mit anderen Unternehmern aus dem Netzwerk zusammen, so dass sie sich austauschen können. Und wie nebenbei wird dabei ein Gefühl vermittelt, das – gerade jetzt – nicht zu unterschätzen ist und das auch mir selbst gut tut: Ich bin nicht allein! Auch die anderen kämpfen!

Das wahre Gesicht der Krise

Erst jetzt – nach Wochen unter Strom – komme ich dazu, darüber nachzudenken, was eigentlich passiert ist. Bemerkenswert finde ich, wie stark man gerade in der Krise auf das zurückfällt, was einen im Tiefsten ausmacht – als würden all die Schichten, die sich fast unmerklich über einen gelegt haben, mit einem Mal weggerissen. „In der Krise zeigt sich das wahre Gesicht“, hatte ich Ende März in einem Text geschrieben (Der Spiegel: Das wahre Gesicht der Coronakrise). Heute würde ich ergänzen: Es sind nicht nur die anderen, die einen – positiv oder negativ – überraschen. Die Krise hält einem selbst den Spiegel vor.

Auch wenn dies absurd klingen mag: Aber der Grund, warum es uns gelungen ist, in den vergangenen Wochen so schnell Neues aufzubauen, liegt daran, dass wir uns im Kern treu geblieben sind. Als ich impulse 2013 aus dem Konzern Gruner + Jahr herauslöste und mein eigenes Unternehmen gründete, schrieb ich als Geschäftszweck ins Handelsregister, Impulse Medien sei kein „Verlag“, sondern biete „Dienstleistungen für Unternehmer“. Dieses Selbstverständnis hat uns all die Jahre geleitet. Jetzt aber, seit wir uns so sehr auf digitale Kanäle konzentrieren, können wir diesem Anspruch sehr viel besser gerecht werden: schneller und interaktiver.

Und noch etwas kommt in diesen schwierigen Wochen zum Vorschein: dass ich schon äußerst kritische Krisen erlebt – und überlebt – habe. Fast mein gesamtes Berufsleben stand unter Krisenzeichen: Zur Jahrtausendwende gehörte ich zum Team, das in Hamburg die deutsche Ausgabe der „Financial Times“ entwickelte. Zwei Wochen nach unserem Start im März 2000 platzte die New-Economy-Blase – und zerschoss die Business-Pläne der Wirtschaftszeitung. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stürzte die Weltwirtschaft in eine tiefe Krise. Zugleich entzogen die sozialen Medien den Geschäftsmodellen der klassischen Medien den Boden. Als sei dies nicht genug, folgte wenige Jahre später das Aus von Lehman Brothers: Die Finanzkrise zog alle in die Tiefe.

Irgendwie überleben – das war das Motto jener Jahre. Als ich 2013 selbst Unternehmer wurde und impulse übernahm, ging der Kampf weiter – in einem schrumpfenden Markt, der einem kaum Atempausen ließ. Dennoch behaupteten wir uns über die Jahre hinweg: Ende Februar veröffentlichten wir unseren Jahresabschluss 2019 – mit schwarzen Zahlen: ein hart erkämpfter Erfolg mit wenig Wert. Das Geschäftsjahr 2019 scheint Ewigkeiten her zu sein.

Es gibt kein Zurück, aber ein Danach

Kämpfen? Fliehen? Oder tot stellen? Viele Unternehmer befinden sich immer noch unter Schock. Sie trauern der Vergangenheit nach, bemühen sich um Soforthilfen und Kredite und versuchen, zu überbrücken, was sich nicht überbrücken lässt. Zerstört wurden ja nicht nur Kalkulationen, sondern auch Gewissheiten – und Träume. Es fällt schwer, die bittere Wahrheit zu akzeptieren, dass sich die Erfolge der Vergangenheit nicht (mehr) in die Zukunft projizieren lassen. Und dass es jetzt darauf ankommt, neu loszulegen.

Jetzt erst recht.

Mir selbst hilft eine banale Erkenntnis dabei, durchzuhalten. Es ist die Erinnerung daran, andere tiefe Krisen durchstanden zu haben. So dunkel die Wolken, die einem die Sicht nehmen, auch sein mögen – sie lösen sich irgendwann auf. Es gibt kein Zurück, aber ein Danach. Deshalb lohnt es sich zu kämpfen.

Eine Krise ist eine Krise. Und eine Chance.

Veröffentlicht in MBO

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